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Verdichtete Gefühle
Beim Fotografieren sind die Rollen in der Regel klar verteilt. Der Fotograf oder die Fotografin steht hinter der Kamera, das Sujet oder das Model vor dem Apparat. Bei der Fotografin Andrea Ebener gilt diese Rollenverteilung nicht. Und wie wir im Gespräch mit ihr erfahren, ist dies nicht die einzige Regel, die sie bricht. Aber eins nach dem anderen.
Das Fotografieren, sagt sie, sei ihre Berufung und spiele in ihrem Leben die wichtigste Rolle. Was sie an dieser Tätigkeit besonders mag ist das Experimentieren mit Materialien und Entwicklungsvorgängen. Betrachtet man ihre Bilder könnte man meinen, dass ihr das Posieren ebenso viel Vergnügen bereitet. Andrea Ebener ist vor allem mit ihren Selbstporträts bekannt geworden. Diese Vermutung lässt sie aber nicht im Raum stehen. „Ich bin ein sehr schüchterner Mensch. Zu Beginn meiner Karriere fand ich es sehr schwierig Models zu erklären, was ich von ihnen wollte. Deshalb begann ich, mich selber zu fotografieren.“
Für ihre Fotos verwandelt sie sich in Kunstwesen. Sie bemalt sich, schmückt sich mit Fellen, Federn und Schädeln oder verwendet religiöse Symbole, um damit eigentümliche Kontraste zu erzeugen. Sie wendet sich jedoch vehement gegen die Annahme, dass sie bewusst auf Provokation setze. Es gehe ihr vielmehr um das Verdichten von Stimmungen und Gefühlen. Sie sind es, die am Anfang ihrer Bilder stehen. Die 29-Jährige lässt sich vollkommen ein auf diese Ebene und bringt dadurch einen Prozess der Verwandlung in Gang, durch den sich die Ahnung eines Grundgefühls verdichtet. Was dadurch entsteht sind Fotos, die archaisch und mystisch anmuten. Manchmal lassen sich darin morbide Anklänge ebenso ausmachen wie flüchtige Leichtigkeit. Und immer ist da diese absolute Präsenz einer jungen, modernen Frau, die alle Verletzlichkeiten zulässt und dennoch unangreifbar wirkt.
Es kommt nicht von ungefähr, dass Andrea Ebener oftmals animalische Objekte oder solche mit religiösem Hintergrund verwendet. Es handelt sich dabei um Themen, die sie seit Kindertagen begleiten. „Mit meinem Vater war ich oft auf der Jagd. Darum weiss ich um die Leidenschaft der Jagd, aber auch um die Ernsthaftigkeit des Todes.“ Tiere symbolisieren für sie das Schöne, Freie aber auch das Gefährliche.
Aufgewachsen in einem katholischen Umfeld mit seinen Ritualen, empfand sie die erste Zeit, in der sie in Zürich lebte und arbeitete, als sehr befreiend. Die starren Regeln der engen Dorfgemeinschaft im Lötschental fand sie beengend. „Scheinheiligkeit ist mir noch heute ein Greuel“, sagt sie.
Bei ihrer Arbeit setzt sie nicht auf reine Digitalfotos. Das wäre ihr zu wenig physisch. Stattdessen experimentiert sie mit Licht und Chemie. Die alte Technik der Cyanotypie erlebt bei ihr eine Wiedergeburt. Ihre Bilder entstehen im Moment und es gibt kein Zurück mehr. Kein Korrekturmodus kann die ursprüngliche Form wiederherstellen. Dadurch schafft sie Bilder, die Zeugen eines Augenblicks sind. Unikate, die zwischen den Zeiten zu schweben scheinen.
Zur Fotografie fand Andrea Ebener eher zufällig. Nach der Orientierungsschule wusste sie nicht so recht, was für eine Ausbildung sie absolvieren sollte. Zwei Wochen vor Schulbeginn meldete sie sich bei der ECAV, Walliser Schule für Gestaltung, an und wurde aufgenommen. Hier studierte sie Graphic Design. Sehr schnell erlag sie der Faszination der Fotografie. Nach dem Studium arbeitete sie in der Werbefotografie. „Das war eine harte Schule. Ich merkte bald, dass dieses technische, business-orientierte Fotografieren nicht mein Ding war“. Sie entschied sich, selbstständig zu arbeiten. Ein zusätzlicher Studiengang im Hyperwerk Basel stärkte ihren Glauben an die eigene Kreativität. Sie entwickelte ihren unverkennbaren Stil, der schon bald Beachtung in Fachkreisen fand. Andrea Ebener ist sich der Gefahren des Erfolgs bewusst. „Ich versuche frei zu bleiben. Unbewusstes zuzulassen und nicht Bilder für den Verkauf zu produzieren.“
Regelmässig stellt sie inzwischen in Einzel- und Gemeinschaftsausstellungen vor allem in Zürich und im Wallis aus. So schnell wird sie aus der Welt der Fotografie nicht zu verdrängen sein. Mit Sicherheit wird man noch in 200 Jahren von ihr sprechen. Dann nämlich wird der Countdown zu ihrem Projekt „Zeitkapsel“ beendet sein. Es handelt sich dabei um einen Behälter, der analoge und digitale Botschaften enthält. Das Geheimnis über den Inhalt des Gefässes, das irgendwo im Lötschental vergraben liegt, wird erst im Jahr 2213 gelüftet. Bis dahin wechselt eine Metallbox mit Informationen zur Zeitkapsel und deren Koordinaten alle zehn Jahre den Besitzer. Ein Stafettenlauf über zwei Jahrhunderte. Ob in 200 Jahren die digitalen Dokumente der Zeitkapsel noch gelesen werden können ist unklar. „Der immense digitale Verschleiss und Medien, die nur schwer zu tradieren sind, erschweren es den Menschen Spuren zu hinterlassen“, erklärt die gebürtige Lötschentalerin die Idee dahinter.
Nicht ganz so weit nach vorne blickt sie in Bezug auf ihre persönliche Zukunft: „Ich wünsche mir, dass ich in zehn Jahren viel Zeit zum Arbeiten haben werde und dass meine Existenzängste weniger geworden sind.“
www.andreaebener.ch
Zeitkapsel
Erschienen: März 2017
Text: Nathalie Benelli
Fotos: © David Zehnder