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Ein Sprungbrett für den Tanz
Jeannette Salzmann wirkt im Gespräch zurückhaltend, fast scheu. Aber nur im ersten Moment; bis man merkt, dass es sich hierbei nicht um eine Schwäche der Tänzerin handelt, sondern um eine ihrer Stärken. Sie kann nämlich warten. Warten, bis ihr Gegenüber seine Sätze fertig formuliert hat und warten, bis sie sich in Gedanken klar darüber geworden ist, was sie antworten will. Dann erst spricht sie – präzise, selbstbewusst. Diese Ruhe beim Sprechen, die sie längst verinnerlicht hat, zeichnet sie auch als Tanzpädagogin aus. Sie schafft es, Tänzerinnen und Tänzern Raum und Zeit zu geben, um das zum Ausdruck zu bringen, was aus ihnen heraus will. Und wenn sie selber auf der Bühne steht, fasst sie mit Leichtigkeit, den unerschöpflichen Fundus menschlicher Leidenschaften in immer neue Bewegungen.
Wer ihr beim Tanzen zusieht, käme nie auf die Idee, dass Jeannette Salzmann diese Passion erst verhältnismässig spät entdeckt hat. Während Tanzbegeisterten zurzeit im Oberwallis viel geboten wird, gab es in den 1980er- und 1990er-Jahren ausser Jazz-Gymnastik-Kursen kaum etwas in diesem Bereich. Das änderte sich 1997, als in Brig-Glis die Tanzschule und Tanzcompany Artichoc gegründet wurde. Jeannette Salzmann, Judith Bärenfaller und Carmen Pfammatter hiessen die drei Gründerinnen und Tanz-Pionierinnen, die sich zum Ziel gesetzt hatten, den modernen Tanz im Oberwallis heimisch zu machen. Mittlerweile können Tanzbegeisterte aus einem riesigen Angebot zwischen Hip-Hop, Salsa, zeitgenössischem Tanz, Tango, Jazz-Tanz, Ballett und weiteren Tanzstilen wählen. Fünf Tanzschulen weihen im obersten Kantonsteil mehrere Hundert Schülerinnen und Schüler in die hohe Kunst der Bewegung ein.
Dass Jeanette Salzmann eine treibende Kraft der Oberwalliser Tanzszene war und ist, wundert wohl niemanden, der sie näher kennt. Denn wenn sie erst einmal von einer Sache überzeugt ist, scheint sie ungeahnte Kräfte zu entwickeln. Kein Aufwand ist ihr zu viel, kein Hindernis scheint ihr zu hoch. Das war schon so, als sie sich mit 20 Jahren entschied, die Ausbildung zur Tänzerin bei Bruno Verdi in Sitten in Angriff zu nehmen. „Ich habe vormittags als Chemielaborantin in der Lonza gearbeitet und den Rest des Tages habe ich beim Tanz-Training verbracht“, erzählt sie. Furchtbar anstrengend sei diese Zeit gewesen, blickt sie lachend zurück. Manchmal, wenn sie nicht mehr wusste, wie sie mit ihren müden Gliedern nach Hause kommen sollte, rief sie ihre Mutter an und bat sie, sie spätabends vom Bahnhof abzuholen und nach Hause zu fahren. Trotzdem ist der zierlichen Tänzerin diese Zeit in guter Erinnerung geblieben. „Neben einer fundierten Technik konnte ich von Bruno Verdi auch sehr viel darüber lernen, wie eine Produktion zustande kommt und was es dabei alles zu beachten gilt“. So lernte sie alle Facetten der künstlerischen Tätigkeit kennen.
Obwohl Artichoc Performance rasch Erfolge mit Bühnenproduktionen feiern konnte, war für Jeannette Salzmann bald einmal klar, dass sie lieber Tanzpädagogin als Bühnentänzerin sein wollte. Seit 18 Jahren unterrichtet sie nun schon unermüdlich. Vor zwei Jahren fand sie, dass die Zeit reif sei, ein Manko der Bildungslandschaft auszumerzen. „Tanzbegabte, die ihr Hobby zum Beruf machen wollten, waren gezwungen, das Oberwallis zu verlassen “, erklärt die Tanzpädagogin. Der Weg zur Profi-Tänzerin oder zum Profi-Tänzer führte bisher über sprachliche oder geografische Barrieren. Den Tanzschüler/innen stand zwar der Weg in die anerkannte Sport-Kunst-Ausbildungsstätte (S-K-A) in Martinach offen, aber das hiess eine Ausbildung in Französisch zu absolvieren. Wer eine Schule in deutscher Sprache besuchen wollte, musste in andere Kantone ausweichen. Das Wissen um diese Hindernisse, trieb Jeannette Salzmann, anlässlich ihrer Master-Arbeit an der Uni Bern, an, ein Konzept einer Ausbildungsstätte für Tanz im Oberwallis auszuarbeiten. Olivier Mermod, Direktor der Oberwalliser Mittelschule St. Ursula (OMS), unterstützte sie bei der Realisierung des Konzepts. Und so können fortan Tanzbegeisterte sich im Oberwallis auf eine Prüfung zur Aufnahme an einer Tanzhochschule optimal vorbereiten. „Wer einen professionellen Weg einschlagen will, sollte im Alter von 14 bis 16 Jahren wöchentlich mindestens zwölf bis 14 Stunden tanzen“, räumt Jeannette Salzmann ein. Im Herbst 2016 wird es für tanzbegabte Auszubildende oder Schülerinnen und Schüler der Sportschule, des Kollegiums, der OMS, einer Lehre und der Orientierungsschule zum zweiten Mal möglich sein, vom „Tanz-Sprungbrett“ zu profitieren und sich an der anerkannten Ausbildungsstätte für Tanz das nötige Rüstzeug für eine Profi-Tanzkarriere aneignen.
Profitieren von Salzmanns Fachwissen konnten in den vergangenen Jahren bereits mehrere Begabte. Michel Briand schaffte auch durch ihre Unterstützung den Sprung an die SEAD Salzburg Experimental Academy of Dance in Salzburg. Die Schule gilt als führend im Bereich zeitgenössischer Tanz in Europa. Und mit der Energie, die Jeannette Salzmann ausstrahlt, wird sie bestimmt noch vielen motivierten Jugendlichen den Weg zu einer Tanzkarriere weisen.
Erschienen: Mai 2016
Text: Nathalie Benelli
Fotos: © Valérie Giger